Der Tag der Entscheidung

Was war da nur los in Stuggitown ? Die letzten 24 Stunden erinnerten an den Showdown im  klassischen Western, das Duell auf der Hauptstraße, zwei erbitterte Gegner Auge in Auge, die Sonne brezelt vom Himmel, die Einwohner von Old Stuggitown linsen hinter den Fenstern hervor auf das Duell. Da stehen sie, wer zieht zuerst…?

Langsam, der Reihe nach.

Gestern Abend, pünktlich 18 Uhr: die übliche Montagsdemo vor dem Nordflügel des Hauptbahnhofs. Dieser Teil des Bonatzgebäudes soll in der nächsten Woche abgerissen oder wie es im Bürokratendeutsch heißt „zurückgebaut“ werden – völlig unabhängig davon, wie die Klage des Bonatz-Enkels Peter Dübbers vor dem Oberlandesgericht ausgeht. Termin dafür ist der 6. Oktober.

18.30 Uhr: die Demonstranten stürmen das leergeräumte Gebäude, besetzten den Nordflügel. Für die gemächliche Landeshauptstadt ein ungeheures Unterfangen. Schlimm vor allem für die gesetzestreuen Schwaben: es sind Bürger aus allen Schichten dabei , die den Besetzern applaudieren und auch noch Proviant bringen.

Mitternacht: die Polizei räumt das besetzte Gebäude, in den Kommentarspalten der Stuttgarter Zeitungen wird der Ton zwischen Befürwortern und Gegnern nochmals schärfer, wenn das überhaupt noch geht.

Heute früh: das SMA-Gutachten wird vom BUND veröffentlicht. Zwei Jahre lang wurde es unter Verschluss gehalten. „Aufgrund der Brisanz der vorliegenden Resultate ist absolutes Stillschweigen erforderlich“ steht im Vorwort der Studie, die von einem bekannten Schweizer Institut erstellt wurde. Die Studie zeigt, dass der über 4 Milliarden teure  unterirdische Durchgangsbahnhof wenig Vorteile für den Fernverkehr aber gewaltige Nachteile für den bisher funktionierenden Nahverkehr bringen wird.

Heute Mittag, 16 Uhr: Bahnchef Grube tritt vor die Presse und verkündet: die Schnellbahnstrecke zwischen Stuttgart und Ulm wird über 850 Millionen teurer. Mindestens. Bisher hat die Bahn beim Bau von Großprojekten  noch nie die vorab veröffentlichen Kosten eingehalten. Das SMA-Gutachten kenne er nicht. Ministerpräsident Mappus grient in die Kameras und murmelt etwas von „überschaubar“.

Stuttgart 21 wird kommen. Milliarden für ein fragwürdiges Projekt. Ein Immobilienprojekt, kein Verkehrsprojekt, sagen die Kritiker. Sie haben noch drei Showdowns vor sich – nächste Woche, wenn die Bagger anrücken, im Oktober, wenn die ersten Platanen im Schloßgarten fallen –  und dann im März 2011 bei der Landtagswahl in Baden-Württemberg.

5 Kommentare zu „Der Tag der Entscheidung

  1. Unglaublich, was da passiert! Bei meinem Besuch vor ein paar Wochen in Stuttgart vernahm ich die Wut von Freunden und Bekannten, in der Alterskategorie 20ig bis über 80ig, was diese Entwicklung betrifft. Ich hatte lange Zeit eine Chance für Stuttgart gesehen, aber so wie sich das jetzt gestaltet ist es – mal wieder – nur das Süppchen einiger weniger, die persönlich- wirtschaftliche Interessen verfolgen. Viele Politiker, die dieses Projekt immer vorangetrieben haben, sind darüber schon längst wohlausgestattet im Ruhestand gelandet oder weggelobt worden. Die schmunzeln schon! Der Rest verlässt sich auf schwäbische Behäbigkeit …

  2. Ich geb die Hoffnung immer noch nicht auf, dass das Projekt doch noch baden geht. Und drücke weiter die Daumen!!!

  3. In Zürich wurde der HBF in mehreren zeitlich folgenden Stufen auch umgebaut. Es ist ein Kopfbahnhof geblieben (zumindest oberirdisch) und vieles der alten Bausubstanz – aus der Neorenaissance – ist erhalten geblieben (auch wenn mein Kunstlehrer damals nicht mit allem einverstanden war). Mit seinen mehr als 2.915 Zugfahrten pro Tag gilt Zürich als einer der meistfrequentierten Bahnhöfe der Welt. Die verschiedenen Ebenen mit ihren Bahnhöfen funktionieren ganz gut, auch wenn die Leitung des Fußgängerverkehrs etwas besser sein könnte. Der Baugrund in Zürich ist schwierig: die Flüsse Limmat und Sihl liegen direkt an oder auf dem Gelände. Was mir nicht gefällt ist die optische Ausgestaltung von Shopville. Auch die ebenerdige Anbindung des Bahnhofgebäudes an Landesmuseum, Limmat und Bahnhofstrasse könnte besser sein. Arbeiten um den Bahnhof herum sind aber wegen des hohen Verkehrsaufkommens umständlich.

    Nun geht es hier aber um Stuttgart. Was da geschieht ist ein Skandal. Die Verantwortlichen haben sich verrannt, geirrt und korrigieren es nicht. Bei solchen Größenordnungen ist das unverzeihlich.

  4. Daß idiotische Abrißprojekte unter stillschweigendem Kopfschütteln einiger durchgezogen werden, ist nichts neues. Jetzt bin ich gespannt, was aus diesem Projekt wird. Wenn sogar Häuslebauer zu Hausbesetzern werden … Klasse.

    1. Diese Form des Widerstands quer durch alle Schichten, Altersgruppen und Berufe hat mich mit manchem in dieser Stadt versöhnt – auch wenns am Ende nichts helfen wird.
      Stuttgart wird nicht mehr so sein wie früher.

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