Seid umschlungen

Der Mann hatte ein Rad ab. Einen kapitalen Dachschaden. Entweder waren es traumatische Kindheitsereignisse in Mandal in der Provinz Vest-Agder – das strenge pietistische Elternhaus könnte einen Hinweis geben – oder ihm ist während seiner Umschulung vom Holzsschnitzer zum Bildhauer ein kapitaler Steinbrocken aufs Haupt geplumpst. Anders ist es nicht zu erklären, dass ein Bildhauer sein Lebtag lang nichts anderes macht, als aus Grantit nackige Menschen zu hauen oder aus Bronze ebenfalls nackige Kreaturen zu gießen.

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Das Ergebnis dieser Obsession kann man sich in Oslo anschauen. Gustav Vigeland hat insgesamt 1600 Skulpturen, 1200 Zeichnungen und rund 400 Holzschnitte hinterlassen. Ab dem Jahr 1907 hat er sich nur noch mit seinem wirklichen Lebenswerk beschäftigt, einem 30 Hektar großen Skulpturenpark im Südwesten der Stadt, bis zu seinem Tod 1943. Es ist die größte Figurensammlung, die jemals ein Mensch alleine geschaffen hat. Nun gut, das ist leicht geschummelt, er ließ auch andere Bildhauer ans Werk, die seine Entwürfe umsetzen durften. Vigeland hatte mit dem Magistrat der Stadt einen Deal eingefädelt: er erhielt eine monatliche Vergütung, im Gegenzug trat er seinen Nachlass komplett an die Stadt ab.

Der Vigeland-Skulpturenpark ist heute eine der bedeutensten Sehenswürigkeiten von Oslo. Und – bitte festhalten – der Eintritt ist umsonst !

15 Kommentare zu „Seid umschlungen

  1. „Pietistisch geprägter Möbelschreiner“ gefällt mir. Sein Sohn hätte mal bei Rodin nachgucken sollen, wie man so was macht.

  2. Hm, ich find’s faszinierend. (Natürlich habe auch ich mich anfänglich gefragt, ob die lebendig sein sollen …) Bemerkenswert, daß er sich nicht auf junge und irgendwie ideale Menschen beschränkt hat.

  3. Und sorry, wenn ich das noch nachtrage, ich überlege nämlich die ganze Zeit, warum ich dieses Werk irgendwie abstoßend finde: Es hat meiner Wahrnehmung nach nicht die expressive aber auch unschuldige Reinheit eines sog. outsider-Künstlers, die ja auch krasse Werke schaffen, noch Reflektion oder Können eines wirklichen Künstlers, auf mich macht es den Eindruck eines obsessiven Halbbegabten (ist aber nur ein persönlicher Eindruck)

    1. Ich mußte bei dem Obelisken mit den 120 verschlungenen Leibern unwillkürlich an die grausigen Bilder aus Konzentrationslagern denken.

      1. Ja, ich auch, vielleicht aber ein spezifisch deutsches Phänomen, aber falls er es in einer Art paralleluniversitärer visionärer Vorschau so GEMEINT haben sollte, wäre es in seiner Karrikaturhaftigkeit einfach SCHLECHT, die Ausarbeitung der Figuren erinnert mich an einen technisch wenig perfekten Arno Breker.

  4. Hatte ich auch übrigens, diese Assoziationen, kann ja aber nicht sein, also mir gefällt es einfach überhaupt nicht, ich finde es total verquer (obwohl Kunst mit „Gefallen“ wenig zu tun hat)

  5. So was nennt man wohl obsessiv monothematisch künstlerische Auseinandersetzung mit dem Thema Granit. Sehr schön die grenzdebil grinsenden Maiden vor dem Nudistenobelisk. Auch der Zopfknebel hat Potential. Seit wann gibts in Norwegen Pietisten? Hab die gerade mal gegoogelt, so wie ich grundsätzlich alles google, aber von Norwegen stand da nix.

    1. Hab ich zu meinem Erstaunen in seiner Bio gefunden. Sein Vadder war „ein pietistisch geprägter Möbelschreiner“, was das auch immer bedeuten mag.

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