Von wegen Provinz

Aus Stuttgarter Sicht ist bekanntlich alles, was außerhalb des Talkessels liegt… Provinz. Nehmen wir mal den Breisgau und die Kurpfalz aus. Und je weiter man sich vom Nesenbach entfernt, desto tiefer wird diese Provinz. Verächtlich nennt der Großstädter deshalb die wunderschöne Gegend des „Madonnenländchens“ am Rande des Odenwals auch „Badisch Sibirien“. Und dann gibt es ja auch noch Hohenlohe!

HO! HEN! LO! HE! Nein danke, da möchte der vewöhte Snob aus dem Heusteigviertel nicht mal beerdigt werden. Hohenlohe ist Bauernland. Punkt. Und Bauernland ist allertiefste Provinz, oder? Komisch nur, dass der Städter – er kann es sich ja als Architekt oder Grafiker oder Rechtsanwalt leisten – beim Fleischer seines Vertrauens natürlich nur Schweinefleisch vom „Schwäbisch Hällischen Landschwein“ kauft und dafür auch tief in die Tasche greift.

Nur mal so: ohne die Landwirte in Hohenlohe wäre diese Rasse längst ausgestorben. Die Truppe um den Öko-Pionier Rudolf Bühler hat das schmackhafte Landschwein erst gerettet und dann wieder salonfähig gemacht, genauso das Limpurger Rind, schon in vergangenen Jahrhunderten als „Boeuf de Hohenlohe“ gerühmt an französischen Adelshäusern.

Die umtriebigen Bauern aus Hohenlohe machen seit Jahrzehnten von sich reden. Jetzt haben sie einen neuen Coup gelandet. Sie haben kurzerhand das Schloß in Kirchberg an der Jagst gekauft und daraus das Haus der Bauern gemacht, eine ökologisch ausgerichtete Akademie für nachhaltige Landwirtschaft und internationale Vernetzung. Agrarpioniere aus der ganzen Welt treffen sich hier zum Meinungsaustausch im ehemaligen Rittersaal. Welch Ironie der Geschichte! Dort wo früher die Landfürsten tafelten, die die ländliche Bevölkerung ausbeuteten und ausplünderten, haben jetzt die Bauern Platz genommen, um von Hohenlohe aus die Welt ein bisschen besser und gerechter zu machen.

Die Hohenloher waren schon immer Dickschädel. Das zeigte sich im Mittelalter an den revolutionären Bundschuh-Bauern – und das liegt in den Genen. Die Haupstadt ist weit weg, im ländlichen Biotop  genießt man diese Narrenfreiheit. Fast paradiesische Bedingungen für ganz besondere Menschen. Die Landschaft ist ein Traum, die Dörfer und Kleinstädte wirken irgendwie intakt, die Leute kennen und schätzen und brauchen sich. Vernetzung at it`s best.

So landen in dieser kargen Gegend auch Typen, die sich wahrscheinlich nie vorstellen konnten, einmal in Hohenlohe ihren Lebensmittelpunkt zu finden. In Kirchberg an der Jagst – natürlich im Schloß – leben etwa Nina und Klaus Sohl. Ein bezauberndes Paar, weitgereiste Dokumentarfilmer, sie haben sich eine traumhafte Wohnung im Schloßturm gekauft und ausgebaut, und betreiben jetzt im Hof mal eben eine Eisdiele mit wunderbarem Heumilch-Eis. Neulich, beim traditionsreichen Kirchberger Büchermarkt, haben Nina und Klaus tausend Portionen ihres Eises verkauft … und in der Nacht Nachschub für die Besucher am Tag drauf produziert.

Natürlich: die Milch kommt von ausgewählten Landwirten der Gegend, die Nachbarn bringen Obst wie die aromatische Schloßbergbirnen vorbei, das Paar tüfftelt ständig an neuen Kreationen – und arbeitet nebenbei, aber wirklich nur nebenbei, an neuen Filmprojekten. Es ist ein ganz anderes Leben als auf Fuerteventura, wo beide lange gelebt und gearbeitet haben. Aber es ist ein gutes Leben. Im Moment.

Wer so lebt und arbeitet, der braucht gute Nachbarn und gute Freunde. Die haben sie hier reichlich gefunden, etwa Ursel und Antje, die in einem kleinen Weiler in der Nähe das Landgasthaus „Abraxa“ aufgemacht haben oder die Buchhändler, Künstler und Antiquare in der kleinen Stadt auf einem Bergsporn über der Jagst.

Das also soll Provinz sein. Vielleicht, aber es ist ein anderes, ein ehrliches, ein entschleunigtes Leben weit weg von der Stadt.

Und genau deshalb ist Hohenlohe genau die richtige Region, die wichtigen bäuerlichen Szenen für eine neue, große Dokumentation zu drehen. Unter anderem im Freilandmuseum Wackershofen fanden jetzt Dreharbeiten statt für den 90-Minuten-Film „Das Jahr ohne Sommer – wie das Cannstatter Volksfest entstand“. Mehr dazu bald.

3 Kommentare zu „Von wegen Provinz

  1. Das ist eine schöne Geschichte mit der Bauernakademie im Schloss.
    Bauernkriege gingen vom hohenlohischen Boden aus. Der Aufstand gegen die Mercedesteststrecke ist legendär. Und es ist kein Wunder, dass die Geschwister Scholl, Joschka Fischer und Rezzo Schlauch auf hohenloher Boden aufgewachsen sind. Und war Götz von Berlichngen nicht auch….?

    1. Die Renitenz der hohenlohischen Landwirte hat sich bis heute gehalten – mündet aber immer wieder in absolut kreativen, nachhaltigen und innovativen Ideen. Respekt ! Und auf der anderen Seite sitzen hier einige Weltmarktführer in ihren Branchen. Sie machen aber nicht viel Aufhebens davon. „Hidden Champions“, eben !

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