Ich bin mir nicht sicher, ob der Blumenhändler Giorgio Carbone irgendetwas mit dem Begriff Marketing anfangen konnte. Aber egal:irgendwann in den 60er Jahren hatte sich der bärtige Kerl mit der Geschichte seines Heimatortes beschäftigt und verblüfft entdeckt, dass Seborga, die kleine Berggemeinde oberhalb von XXmiglia, niemals wirklich zu Italien gehört hat.Es gibt, so stellte er fest, nirgendwo ein entsprechendes Dokument, also muß die Erklärung von 1076 weiter gelten, als Seborga zum Fürstentum des Römischen Reiches ausgerufen wurde. Beim Wiener Kongress wurde das Zwegfürstentum irgendwie übersehen und auch bei der Gründung der Republik Italien hat man Seborga dummerweise vergessen. Diese bizarre Geschichte brachte es sogar zu Geschichten im MERIAN und im SPIEGEL – das können nur wenige der kleinen Provinznester an der ligurischen Riviera von sich behaupten.
Der Blumenhändler wurde ob seiner Verdienste um die Geschichte des Ortes zum Fürsten gewählt und durfte sich fortan Giorgio I nennen, regierte über 40 Jahre lang und starb im Jahr 2009. In diesen Jahren hat sich in Seborga vieles verändert. Bei der Einfahrt in das Bergdorf passiert man ein weiß-blaues Grenzhäuschen, die Gebäude des Dorfes sind alle feierlich beflaggt, es gibt eigene Briefmarken, eine eigene Währung, eine Nationalhymne und viele Devotionalien, die vom Ruhm des Fürstentums künden. Was macht es da schon, dass kein Staat der Welt Seborga anerkennen will und Währung und Briefmarke zwar kosten, aber eigentlich keinen Cent wert sind. Immerhin haben es die Seborghini geschafft, dass sich folkloristisch interessierte Urlauber auf den kurvenreichen Weg in das Bergfürstentum machen. Nun gut, viele ist an diesem sonnigen Frühlingstag etwas übertrieben, es waren zur Mittagszeit insgesamt acht – zwei Deutsche, drei Luxemburger und drei Engländer. Aber immerhin:Seborga lebt einigermaßen von dieser Attraktion – im Gegensatz zu anderen Bergdörfern, die an demographische Auszehrung leiden.
Inzwischen gibt es auch einen neuen Fürsten:Marcello I, ein gebürtiger Schweizer, der den Einfallsreichtum seines Vorgängers nahtlos fortgeführt hat. Er träumt davon, Investoren für ein 5-Sterne-Hotel nebst Golfplatz zu finden und damit Arbeitsplätze zu schaffen. Das wird ihm gottlob nie gelingen, viel wichtiger wird es sein, Kindergarten und Grundschule zu erhalten. Die Seborghini selbst sehen das emsige Treiben des Fürsten gelassen, so wie sie mit großer Lässigkeit das blau-weiße Treiben verfolgen. Sie können sich ja im Dorfrestaurant mit dem fantastischen Blick auf die Küstenlinie trösten. Ganz im Hintergrund sieht man die Hochhäuser von Monaco – und Monaco ist schließlich das warnende Beispiel dafür, wohin eine Marketing-Idee auch führen kann.
Schön haben sie es da, in ihrem Fürstentum.