Das Nest der Spinnen

Viele, die nach San Remo oder Sanremo kommen, kennen nur die Sonnenseite, das Dreieck zwischen dem alten Hafen, der Spielbank und dem Theater Ariston am Ende der prachtvollen Fußgängerzone Corso Matteotti. Dort lässt es sich auch prima schlendern und shoppen oder zur Not zocken. Nur zwei Straßenzünge weiter liegt eine der spektakulärsten Altstädte Italiens: La Pigna (Der Tannenzapfen). Der älteste Stadteil Sanremos ist ein Labyrinth an Gassen, Treppen, Plätzen, Torbögen, Wäscheleinen und Pflastersteinen. Rein kommt man nur zu Fuß, das erklärt, dass Busladungen voller Urlauber, die in fünf Tagen die Schönheiten der Blumenriviera durchpflügen, meistens draußen bleiben. Die Zeiten, in denen in der Pigna ein Papst oder gar Napoleon nächtigten, sind lange vorbei. Heute ist die Altstadt ein sozialer Brennpunkt mit viel zu kleinen, zu dunklen und zu heruntergekommenen Häusern, die dicht an dicht kleben. Die notwendige Sanierung ist teuer und erfolgt nur im Schneckentempo.


Italo Calvino hat direkt nach Kriegsende die Altstadt von Sanremo literarisch verewigt. Angeblich in gerade mal vier Wochen schrieb er 46 „Wo die Spinnen ihre Nester bauen“. Ein Roman, auf den die Italiener gewartet hatten, denn das Wirken der Resistenza mußte endlich niedergeschrieben werden, wenn auch nur in Romanform. Calvino, der in den letzten Kriegsmonaten in den ligurischen Bergen im Widerstand kämpfte,und wie viele Intellektuelle erst als glühender Kommunist politisch aktiv und nach dem Einmarsch in Ungarn wieder aus der Partei ausgetreten war, nutzt einen koboldhaften Straßenjungen, um fabulierfreudig ein märchenhaftes Kriegsdrama zu entwickeln.

Den Roman hab ich mir für die Weihnachtszeit vorgemerkt. Vorher werde ich aber sicher nochmal in den Gassen Sanremos rumstreunen. Vielleicht lacht mir an einer Ecke ein kleiner Junge entgegen, der mich an Pin erinnern wird, den Jungen aus dem Buch.

11 Kommentare zu „Das Nest der Spinnen

  1. Schöne Beschreibung der Altstadt. Ich mag solche alten Stadtkerne, die so viel zu erzählen hätten. Aber wie Du schon schreibst: „…sozialer Brennpunkt….“, eine Schande, dass die Stadtverantwortlichen häufig gerade ihre „Kronjuwelen“ verwahrlosen lassen und dadurch diese sog. sozialen Brennpunkte provozieren!

  2. Von mir aus ist es eine Empfehlung, allemal (mich überfielen nur kurz diese unguten Prüfungserinnerungen). Dazu empfehlen kann ich Beppe Fenoglio (zum Thema Resistenza) und Cesare Pavese (überhaupt). Beide sind aus dem Piemont nur knapp nördlich der Berge, aus der Gegend zwischen Tanaro, Bormida und Belbo, die alle in Ligurien entspringen ;).

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