Ich maße mir wirklich nicht an, ein besonders guter Kenner des Hinduismus zu sein. Dazu ist diese Religion doch zu vielschichtig, zu komplex, gibt es viel zu viele Gottheiten mit ganz speziellen Fähigkeiten, Bedeutungen und Hintergründen. Aber ich bilde mir schon ein, dass ich beim Blick in die Gesichter und in die Augen von gläubigen Menschen ermessen kann, ob sie das Leben auf der Erde als Jammertal betrachten – oder heiter und fröhlich im hier und heute leben.
Der Hinduismus ist eigentlich keine Religion, sondern eher eine spirituelle Weltanschauung. Es fehlt ein Regligionsstifter, es fehlt eine Amtskirche, es fehlt ein Obermufti auf Erden – und damit gehen auch die üblen Schattenseiten der großen Kirchen verloren – Missionierung, Unfehlbarkeitsdogmen, Alleinvertretungsanspruch, Gewalt und Terror, Unterdrückung im Namen eines Gottes.
Die Balinesen sind – obwohl Teil des muslimischen Inselstaates Indonesien – zu 95 Prozent Hindus. Auf der Insel hat sich eine ganz spezielle Form des Hinduismus entwickelt. Das spürt man, jeden Tag, jede Stunde, an jeder Ecke. Freunde, die von muslimischen Lombok nach Bali übergesetzt hatten, fühlten sich plötzlich wie in einer anderen Welt.
Der Hinduismus kennt keinen Gott, sondern tausende. Drei Hauptströmungen sind nach Shiva, Vishnu und Shakti benannt. Dazwischen ist Platz für viele kleine und kleinste Götter, für Naturglaube und archaische Überlieferungen.
Irgendwo habe ich gelesen, das Leben der balinesischen Hindus sei ein tägliches Fest. Das mag angesichts von vorhandener Armut, Überbevölkerung und wachsender Umweltverschmutzung heftig übertrieben sein. Aber: das Leben ist unglaublich von rituellen Bräuchen dominiert – vom kleinen täglichen Opfer vor dem Restaurant bis zu gigantischenen, in Farben, Düften und Formen schwelgenden Totenopfer, die sich über Wochen hinziehen.
Der Festkalender der Balinesen kennt keine Pause. Es soll, so hat jemand grob ausgerechnet, pro Tag auf der Insel etwa 50 offizielle Tempelfeste geben, Dazu kommen die ungezählten persönlichen oder familiären Feste, Gedenktage und Opfergaben.
Das alles wirkt leicht, heiter, fröhlich, bemerkenswert gelassen. Vielleicht auch, weil sich Hindus sicher sind, das es ein Leben nach dem Leben gibt, nicht irgendwo im versprochenen Paradies, sondern hier auf der Erde.
Was ich besonders mag: ein positiver Beitrag zum Thema Religion. Ohne Eifer irgendeiner Art, wie er derzeit gerade unter »Atheisten« um sich zu greifen scheint.
Eine nachdenklich stimmende, schöne Betrachtung.