Sigmund Lindauer und der Büstenhalter

Nein, ganz ehrlich ! In diesem Beitrag geht es nicht um das Korsett im Allgemeinen und den Büstenhalter im Besonderen, auch wenn die „Ansichtssachen“ diesen Eindruck erwecken könnten.  Irgendwie geht es aber dann doch immer wieder um den BH –  da kommt man nicht ganz daran vorbei. Aber eigentlich ist dieser Beitrag Sigmund Lindauer aus Bad Cannstatt gewidmet, dem Menschen, der den ersten in Serie hergestellten BH erfunden hat. Und damit geht es  um eine deutsch-jüdische Unternehmergeschichte.

Sigmund ist der Sohn des jüdischen Unternehmers Salomon Lindauer senior und wird 1862 geboren. Der Vater betreibt die Textilfirma Guttmann in Cannstatt – ein angesehener Bürger, der auch sechs Jahre lang im Gemeinderat wirkt. Er stellt unter anderem Corsagen her,  er benennt die Fabrik 1882 in  „S. Lindauer & Co.“ um.

1890 wird der  Markenname „Prima Donna“ erstmals eingetragen.   Die Geschäfte gehen wirklich gut, „Prima Donna“ aus Cannstatt wird eine der führenden Wäschemarken für die eleganten  Damen in Europa mit einer imposanten Fabrik in der Cannstatter Vorstadt und sogar mit einer Filiale in New York.

In dieser Zeit gibt es einen regelrechten Wettlauf um den Büstenhalter, der die unbequemen Korsetts ersetzt, nicht so sehr aus emanzipatorischen sondern eher aus tragepraktischen Gründen.  In Frankreich wird das erste Patent für eine Art Büstenhalter 1889 auf die Französin Herminie Cadolle eingetragen, in Deutschland gründet sich sieben Jahrespäter der „Allgemeine Verein für die Vereinfachung von Damenkleidung“, und nochmals drei Jahre später meldet eine gewisse Christiane Hardt aus Dresden beim Reichspatentamt das „Frauenleibchen als Brustträger“ an. 

Sein Schwiegersohn Wilhelm Mayer-Ilschen, verheiratet mit seiner Tochter Anna, ist vom Fach, von Beruf Miedermacher ,und tüfftelt mit Lindauer weiter. 1912 lassen sie in der Fabrik in Bad Cannstatt den ersten Brusthalter in Serie gehen, der erste BH ohne Längs- und Querstützen, ohne Versteifung also, aus Seidentrikot, direkt auf der Haut zu tragen, der sogenannte  „Hautana“ . Er wird später unter diesem Namen  in der Trikotweberei Ludwig Maier und Cie. in Böblingen in großem Stile gefertigt wurde. Mit dieser  Produktion  wurde die Böblinger „Hautana“ zeitweise der größte Arbeitgeber der Stadt.

Der Ruhm aber, den ersten in Serie hergestellten Büstenhalter auf den Markt gebracht zuhaben, gebührt Sigmund Lindauer.

Er erlebt den Siegeszug des BH nach dem ersten Weltkrieg noch, stirbt im Oktober 1935 und wird auf dem Pragfriedhof eingeäschert. Er bekommt als Jude aber noch mit, wie sich die Nazis in Deutschland breit  und breiter machen. Sein Schwiegersohn Wilhelm Mayer-Ilschen, ein Arier, ändert 1938 den Namen der Firma von “ S. Lindauer & Co“ in „Wilhelm Mayer -Ilschen Korsett- und Trikotagenfabrik“ um. Damit entgeht die Firma der Zwangsenteignung. Der Chef der Böblinger „Hautana“ übrigens, der jüdische Unternehmer Leon Sussmann, stirbt ebenfalls im Jahr 1935 – seine Firma aber  wird „arisiert“.

An Sigmund Lindauer selbst erinnert in Bad Cannstatt wenig. Auf dem Familiengrab der Mayer-Ilschen auf dem Uff-Kirchof in Bad Canstatt : eine kleine Tafel für den Unternehmer und seine Frau Rosa, eine geborene Kahn. Rosakommt in Theresienstadt um und gilt seit 1942 als verschollen. Nach Sigmund Lindauer ist in Bad Cannstatt ein Weg benannt – dort liegt das Jugendhaus Hallschlag. Immerhin: dem Südwestrundfunk war Lindauer im Rahmen des Beitrags „Patente und Talente“ einige Gedanken wert.

In die ehemalige Lindauersche Fabrik in der Hallstraße in der  Bad Cannstatter Vorstadt, unweit der Wilhelma, ist wieder Leben eingezogen. Im wunderschönen Backsteinbau mit seinem Türmchen auf der Rückseite arbeiten heute freiberufliche Film- und Fernsehleute, IT-Spezialisten und Werbeagenturen.

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5 Kommentare zu „Sigmund Lindauer und der Büstenhalter

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